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ARTIKEL VON Gabriel Egger, Redakteuer Land & Leute der OÖN
Vor mehr als 100 Jahren wurde in Gmunden das alpine Rettungswesen aus der Taufe gehoben. Eine Feier zum großen Jubiläum blieb den Bergrettern zweimal verwehrt. Dabei hätten sie so viel zu berichten – von einer Geschichte, die noch lange nicht zu Ende erzählt ist.
Er ist ein Freund geworden. Einer, dem man nicht immer blind vertrauen kann. Weil er sich dreht und wendet, wie es ihm passt. Einmal behaglich und annehmend, ein andermal kalt und abweisend. Aber der Traunstein hat eben seine eigenen Gesetze, zumindest darauf ist Verlass. Bernhard Ebner weiß das. Besser als viele andere, die von seinem Gipfel weit ins Alpenvorland und tief auf das klare Wasser des Traunsees geblickt haben.
Elf Jahre lang bewirtschafteten seine Großeltern das Naturfreundehaus auf dem Traunkirchner Kogel, schon mit sechs Jahren flitzte er den gesamten Sommer über durch die Gasträume, half beim Abräumen, sah Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Die Verbindung zum Berg blieb seither bestehen – sie wird auch nicht abreißen.
Seit mehr als 28 Jahren leitet Ebner nun bereits die Ortsstelle der Bergrettung Gmunden. Beinahe ein Drittel ihrer Geschichte hat er miterlebt. Vergangenes Jahr hätte der 65-Jährige seine Amtszeit mit einer großen Feier beenden sollen. 100 Jahre Bergrettung Gmunden, ein Fest für Jung und Alt, mit einer Schauübung und vielen beeindruckten Gesichtern. Doch dann schwappte eine neue Welle der Corona-Pandemie über das Land. Und zum Feiern war niemandem mehr zumute. Ebner machte weiter. Zumindest ein Jahr wollte er noch anhängen, um sich beim Festabend endgültig von seiner Rolle zu verabschieden. Aber auch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Der Ersatztermin, der für vergangenen Freitag angesetzt worden war, musste wieder abgesagt werden. Derselbe Grund, dieselbe Enttäuschung.
„Es hilft leider nicht. Zum Glück sind mir Zahlen nicht so wichtig“, sagt er, während er vom Bergrettungsheim in der Traunsteinstraße auf die vom Nebel verhüllte Westseite des Berges blickt. Dort, wo im Jahr 1920 alles begonnen hatte. Der erste Einsatz war die Bergung einer Leiche.
Wie alles begann
Ein Marterl erinnert noch heute an sie. An jener Stelle auf dem Hernlersteig, wo die damals 18-jährige Resi Weinmann aus Gmunden tödlich verunglückte. Es war der 3. Oktober, ein strahlend schöner Herbsttag, an dem nichts auf ein Unglück hindeutete. Die Mitglieder des Deutschen Turnvereins Gmunden waren gemeinsam zum Gipfel gestiegen. Vier Mitglieder, darunter Resi Weinmann, entschlossen sich danach, nicht wie vereinbart über die Mairalm, sondern über den Hernlersteig abzusteigen. Die Hälfte des Abstiegs war geschafft, als die junge Frau stolperte, stürzte und so unglücklich auf die Schläfe fiel, dass sie sich eine tödliche Kopfverletzung zuzog.
Erst kurz zuvor war die Gmundner Bergrettung gegründet worden. Zehn hervorragende Alpinisten aus der Traunseestadt hatten sich zusammengeschlossen, um eine organisierte Hilfe auf dem Berg zu ermöglichen. Der Tod von Resi Weinmann war ihr erster dokumentierter Einsatz. Die Gründungsmitglieder der „Alpinen Rettungsstelle Gmunden“ blieben nicht lange zusammen. Nur sechs Jahre später, es war der 17. Oktober 1926, mussten die Bergretter zwei aus den eigenen Reihen bergen. Bei der Erstbegehung der Nordwandkamine, die am Ansatz der „Grünen Gasse“ zum Gipfel emporziehen, stürzten Josef Mulzet und Alois Leithner tödlich ab.
Nach dieser Tragödie wurde die Gmundner Bergrettung – bis dato dem Gesamtverein „DuOeaV“ eingegliedert – als autonome „Ortsstelle für alpines Rettungswesen“ . Mit primitivsten Ausrüstungsgegenständen, aber mit großem Einsatz und noch größerem Idealismus formte der damalige Leiter Ludwig Wickenhauser eine einsatzstrarke Truppe.
Die Retter waren nicht nur auf dem Traunstein gefordert. Auch bei Suchaktionen im Höllengebirge, auf dem Dachstein und im Toten Gebirge wurden die Gmundner hinzugezogen. Der Zweite Weltkrieg riss die Retter wieder auseinander, sie wurden in die deutsche Bergwacht eingegliedert, waren seitdem auch für den Naturschutz zuständig und nicht mehr vollzählig, weil viele Mitglieder an die Fronten geschickt wurden. Wieder brauchte es eine Handvoll Idealisten, um die Ortsstelle nach den Kriegswirren wieder auf neue Beine zu stellen.
Nun begann der Fortschritt für sie zu arbeiten. Die Brieftauben, die bis dato wichtige Informationen vom Berg ins Tal brachten, wurden Anfang der 60er Jahre vom Funk abgelöst. Ein Meilenstein war auch die erste Hubschrauberrettung. Sie datiert vom 31. August 1961, als sich ein junger Bergsteiger in der Westwand des Traunsteins verirrt hatte und weder vor noch zurück konnte. Am 14. Mai 1965 übernahm Leopold Gruber die Ortsstelle – er sollte ihr 28 Jahre lang vorstehen. Bis zu jenem Tag, an dem sein Stellvertreter Bernhard Ebner, der seit 1976 Mitglied war, in die erste Reihe rückte.
50 Einsatze im heurigen Jahr
Waren es damals, in den 1990er-Jahren, noch bis zu 20 Einsätze jährlich, sind es im Jahr 2021 bereits 50. Und die Tendenz ist steigend. Aber auch Ebner kann sich unter den 49 Mitgliedern der Ortsstelle auf zahlreiche Idealisten verlassen. Der junge Gregor Hain zum Beispiel, der neben der umsichtigen Einsatzleitung ein Gasthaus unter den Wänden des Traunsteins führt und nicht selten mehr als Hundert Kilometer am Stück läuft. Wolfgang Socher, Einsatzleiter und Bergführer, der jahrelang als Landesausbildungsleiter der Bergrettung fungierte und bereits bei zahlreichen schwierigen und aufwendigen Einsätzen einen kühlen Kopf bewahrte. Oder Christoph Mizelli, stellvertretender Ortsstellenleiter, der aus seiner Leidenschaft für den Traunstein keinen Hehl machte und zwei umfassende Bücher über den Berg verfasste.
16 Übungen absolvierten die Gmundner Bergretter in diesem Jahr gemeinsam, 15 waren es im vergangenen. Um sich, gemeinsam mit der Ausrüstung, weiterzuentwickeln. Die Stahlseile, mit denen einst bei Rettungseinsätzen gearbeitet wurde, sind längst Geschichte. Und auch die Zeit der Halbstatikseile ist gezählt. Dyneema ist seit 2016 wiederkehrend das Bergrettungswort des Jahres. Es ist – genauso wie die Gmundner Bergretter – unempfindlich gegen die unwirtlichsten Bedingungen.
Bernhard Ebner tritt im kommenden Jahr endgültig ab. 28 der 100 Jahre der Ortsstelle hat er geprägt. Mit viel Stolz, aber auch mit Wehmut, die ihm die Tränen in die Augen treibt, blickt er darauf zurück. „Mir war vor allem wichtig, dass wir noch eine ordentliche Einsatzzentrale bekommen“, sagt er.
Im Mai 2018 wurde das schmucke Haus am Ende der Traunsteinstraße eröffnet. Zuvor war die Gmundner Bergrettung 90 Jahre lang auf Herbergssuche und bezog vom Dachkammerl bis zu einem ausgedienten Stall alles, was zur Verfügung gestanden war. Eine 100-Jahr-Feier sei zwar schön, für Ebner aber nicht das wichtigste gewesen: Es sind die Erinnerungen an jene Menschen, denen er und seine Mannschaft das Leben gerettet haben.
„Da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen“
Bernhard Ebner, Ortsstellenleiter der Bergrettung Gmunden, über 28 bewegte Jahre und ein Datum, das er nie vergessen wird.
30 Jahre hätten es werden können. Dafür hätte Bernhard Ebner nur noch bis zum Jahr 2023 warten müssen. Doch er wolle Platz machen, sagt er. Die Leitung der Ortsstelle Gmunden in jüngere Hände legen, einen Generationenwechsel anstoßen. Der Bergrettung wird er treu bleiben. Und auch dem Berg, mit dem ihn so viel verbindet.
OÖNachrichten: Sie sind seit 1976 bei der Bergrettung Gmunden. Gibt es irgendeine Erinnerung, in der der Traunstein nicht die Hauptrolle spielt?
Bernhard Ebner: Da muss ich wirklich nachdenken. Also, vermutlich sind es nicht viele. Wir sind zwar immer wieder zu Sucheinsätzen geholt worden, wie zum Beispiel 2010, als eine Studentin aus Altmünster auf dem Kasberg von einer Lawine erfasst worden war. Aber der Traunstein war und ist immer noch der Mittelpunkt meines Bergrettungslebens.
Ein Mittelpunkt, mit dem Sie vermutlich nicht nur Schönes verbinden.
Es gibt ein Datum, das ich nie vergessen werde. Es war der 18. August 1980. Gellende Hilfeschreie waren im Tal zu hören. Mein Onkel war damals Einsatzleiter und wir sind über den Naturfreundesteig aufgestiegen, wussten nicht, was uns erwartet. Bei der Querung in den Pechgraben sind wir bereits auf eine Leiche gestoßen und ich bin dann weiter nach oben, um zu schauen, ob noch jemand da ist. Und als ich um die Ecke gekommen bin, saß da diese Schülergruppe. 15 junge Menschen, stumm und zitternd am ganzen Leib. Da hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Eine Schülerin und der Professor waren tödlich abgestürzt. Das werde ich nie vergessen. Aber es gibt auch sehr viele schöne Erinnerungen, an die ich mich klammere.
Wenn Sie jemandem das Leben retten konnten, oder?
Genau. Darum brechen wir immer wieder auf. Das ist unser Ziel. Es ist das, was uns antreibt. Man denkt natürlich bei vielen Einsätzen nach, ob das jetzt wirklich sein muss. Bei dieser Witterung oder um diese Uhrzeit. Aber wenn wir dann zurück im Tal sind, ist das kein Thema mehr. Ich erinnere mich an einen Einsatz am Heiligen Abend. Ein Bergsteiger wurde vermisst, ist am Vortag nicht mehr zurück ins Tal gekommen. Wir waren gerade mit unseren Familien bei der Vorbereitung für das Weihnachtsfest. Und dann mussten wir ausrücken, bei wahnsinnig viel Schnee am Hernlersteig. Wir wussten nicht, ob wir wieder rechtzeitig zurückkommen. Unsere Frauen haben uns dann Kerzen in den Rucksack gepackt, dass wir, im Fall der Fälle, auf dem Berg gemeinsam Weihnachten feiern können. Dieses Verständnis unserer Frauen und Freundinnen ist einfach großartig. Wir haben den Vermissten lebend gefunden und haben ein wunderschönes Weihnachtsfest gefeiert.
Apropos Frauen: Warum gibt es bei der Bergrettung Gmunden seit 101 Jahren kein weibliches Mitglied?
Es gibt genug Frauen, die alpinistisch auf höchstem Niveau unterwegs sind. Aber es muss eine geschlossene Mannschaftsentscheidung sein. Und die hat es bislang noch nicht gegeben.
In 45 Jahren als Bergretter haben Sie viele Veränderungen erlebt. Welche war die tiefgreifendste?
Früher, als mein Vorgänger angefangen hat, war das biedere Handarbeit. Wenn ein Notruf einging, wussten die Bergretter, dass sie aufsteigen mussten. Manchmal bis zu fünf Mal am Tag. Viele Verletzte sind am Rücken ins Tal getragen worden. Der langwierige Abtransport war auch in meiner Zeit noch gang und gäbe. Mit den Hubschraubern kam da eine deutliche Erleichterung. Und eines fällt mir noch auf: So viele Anrufe wegen vermeintlicher Lichtzeichen hatten wir früher auch nicht. Der Schein der Stirnlampen trügt manchmal. In den meisten Fällen ist es falscher Alarm.
Die Bergrettung Gmunden
- 49 Mitglieder umfasst die Gmundner Bergrettung aktuell, darunter auch aktuelle (Gerald Auinger) und ehemalige (Kurt Resch) Hüttenwirte auf dem Traunstein.
- 70 Prozent der Einsätze der Gmundner Bergretter finden auf dem Traunstein statt. Die restlichen verteilen sich auf Grünberg, Gmundnerberg bis hin zur Grenze des Einsatzgebietes beim Zwillingskogel.
- 50 Einsätze verzeichnete die Ortsstelle Gmunden bislang im Jahr 2021. Davon konnten zwei Menschen nur noch tot geborgen werden. Im vergangenen Jahr waren es noch 37 Einsätze, drei davon waren leider Totbergungen. Die Gmundner Bergrettung zählt zu den am stärksten geforderten Ortsstellen im ganzen Land.
- 101 Jahre ist die Gmundner Bergrettung bereits alt. Ihre Gründungsmitglieder waren bestens bekannte Alpinisten: Karl Niederdöckel, Toni Harringer, Leo Strobl, Max Huemer, Max Kienesberger, Franz Semotan, Sepp Bergthaler, Karl Putz, Alois Leithner und Josef Mulzet.